Anbahnung: Vom Anruf bis zum Einzug

Nach dem Anruf: Warten auf das Gespräch mit der leiblichen Mutter

Der Anruf, dass es da ein kleines 4,5 Monate altes Mäuschen gibt, für das wir möglicherweise die richtigen Eltern wären, erreichte uns eine Woche nach unserem Vorstellungsgespräch im 450km entfernten Jugendamt. Natürlich war die Aufregung groß, besonders, weil uns gesagt wurde, dass erst in 15 Tagen ein Gespräch mit der leiblichen Mutter anberaumt war, in dem diese auch einer Unterbringung bei uns widersprechen könnte. Es waren die 15 längsten Tage unseres Lebens und sie wurden gefüllt mit ein paar Baby-Einkäufen, die sicherlich unvernünftig waren, denn es hätte sich ja auch alles in Wohlgefallen auflösen können.

Um gleich einen Einblick in das Pflegeeltern-Dasein zu bekommen, erschien die leibliche Mutter nicht zu besagtem Gespräch und so hieß es weiter warten bis zum angesetzten Kennenlerntermin mit der leiblichen Mutter. Unsere Soz.Päd. hatte nämlich nun entschieden, dass die leibliche Mutter uns direkt kennenlernen sollte, um dann eine Entscheidung zu treffen, da durch ein direktes Kennenlernen meist eine Entscheidung zugunsten der Pflegefamilie fällt.

Da meine Frau zum damaligen Zeitpunkt eine 2 wöchige Hospitanz in einer anderen Stadt absolvierte, war alles eine organisatorische Meisterleistung, aber pünktlich zum Kennenlerntemin saßen wir Freitags im Jugendamt. Leider wieder vergeblich. Umso überraschter waren wir, als unsere Soz.Päd. uns dann fragte, ob wir das Mäuschen ganz kurzfristig am selben Tag noch besuchen wollen (geplant war ein erstes Treffen mit dem Kind am Tag nach dem Gespräch und dem Einverständnis der leiblichen Mutter). Klar wollten wir und wussten nicht, was wir damit taten.

 

Wir lernen unser (?) Kind kennen

Wir stiegen in ein Taxi und dieses spuckte uns vor dem Haus der Bereitschaftspflege aus. Diese stand schon an der Tür und brachte uns sofort ins Wohnzimmer, wo ein Baby auf dem Boden lag. Unser Baby? Oder vielleicht auch nicht? Schließlich stand die Entscheidung der leiblichen Mutter noch aus. 

Was mir in dieser Stunde, in der wir da waren, durch den Kopf ging, kann man schwer beschreiben. Man liest immer vom berühmten Funken, der überspringen soll, vom Geruch - man muss den anderen riechen können. Ach herrje, ich spürte nichts und hatte nur die Frage im Kopf: kann ich dieses Kind ein Leben lang begleiten? Und die Hoffnung, dass meine Gefühle mir eine Antwort auf diese Frage geben würden. Aber den Gefallen taten sie mir nicht. Und so hielten wir das erste mal unsere Tochter auf dem Arm und sie lachte uns an, mit dem tollsten Babylachen und wir wussten noch gar nicht, ob wir nun bald gemeinsam durchs Leben gehen würden.

Nachdem wir die Bereitschaftspflegefamilie wieder verlassen hatten, stürzten wir uns vor unserer Rückfahrt in ein Einkaufszentrum und kauften - nun nicht mehr für irgendein Kind, sondern für unser Mädchen - ein. Denn obwohl noch nichts entschieden war und wir auch keinen Funkenflug verspürten, hatten wir doch das Gefühl, dass es kein Zurück mehr gab.

 

Das erste Treffen mit der leiblichen Mutter fand dann zum Glück 2 Tage später endlich statt und löste die letzte Ungewissheit in Luft auf, da sie uns ganz sympathisch fand und somit ihr ok gab. Und als hätten wir dieses ok von ihr gebraucht, flogen beim 2. Treffen mit unserer Maus die Funken. Nie werden wir beide den Augenblick vergessen, als wir uns gleichzeitig über die Sofalehne beugten und uns dieser Sonnenschein anlächelte: Unser Kind - einfach unglaublich!

 

Von dem Augenblick an ging alles ganz schnell. Während meine Frau ihre Hospitanz weit entfernt von mir fortsetzen musste, hatte ich eine Woche Zeit, meinen Arbeitgeber über meine baldige Elternschaft zu informieren (Elternzeit steht Pflegeeltern ohne Vorlauf ab dem Zeitpunkt, an dem des Kind bei ihnen wohnt, zu) und ihn um Urlaub für die Zeit der Anbahnung zu bitten, was er freundlicherweise genehmigte. Dann hieß es einen sauberen Schreibtisch zu hinterlassen und die Arbeit zufriedenstellend abzuschließen. Zuhause musste vieles besorgt und aufgebaut werden. Hier hatte ich viele helfende Hände und wir hatten auch schon vorgearbeitet. 

 

Am Freitag kam dann meine Frau nach Hause und am Samstag ging es los in die 450 km entfernte Stadt - in die Heimatstadt unserer Tochter. Am selben Tag begannen wir mit der Anbahnung.

 

Die Anbahnung

11 Tage verbrachten wir von morgens bis abends (ausgenommen einer Mittagspause) im Haus der Bereitschaftspflege und übernahmen nach und nach immer mehr Aufgaben: Wickeln, Fläschchen geben, Fläschchen machen, Baden, ins Bett bringen und immer wieder kuscheln. Dann ein erster Spaziergang und die erste Autofahrt, der erste Mittagsschlaf im Hotel. Ziel war es, dass die Maus uns kennen lernt - und wir sie - , so dass wir zu Hause auf ihre Gewohnheiten eingehen konnten. 

Insgesamt eine schräge Zeit. Man fällt quasi bei einer anderen Familie ein und kümmert sich am Ende in einem fremden Haus ums bald eigene Kind. Gott sei Dank hat sich zwischen der Bereitschaftspflegemutter und uns ein sehr gutes Verhältnis (bis heute) entwickelt und so kamen wir uns nicht mehr ganz so fremd vor. 

 

Nach 11 Tagen Anbahnung mit dem Kind und einer gemeinsamen Abschlussuntersuchung beim Kinderarzt kam der Augenblick des Abschiednehmens. Für unsere Bereitschaftspflegefamilie war dies ein ganz schwerer Moment. Sie hatten unsere Maus so ins Herz geschlossen. Und für uns war es Freude und Schmerz zugleich, denn wir freuten uns zum einen sehr, unser Kind nach Hause zu bringen und gleichzeitig waren wir diejenigen, die unsere Maus aus ihrem bisherigen Zuhause rissen und ihr ihre Familie, die sie seit Geburt begleitete, "wegnahmen". 

 

Und so kam es zu der Abschlussszene, die kein Drehbuch besser hätte schreiben können: Wir sitzen im Auto, die Bereitschaftspflegefamilie steht vor dem Haus und während wir wegfahren rufe ich: "Ihr ward die beste Familie, die wir uns für unser Kind vorstellen konnten!" und die Bereitschaftspflegemutter ruft: "Und ihr werdet die beste Familie sein, die wir uns für unsere Maus vorstellen können!